Erste Maßnahme: Selbstvermarktung für Akademiker – Welcome to the machine
Ich hatte oben schon erwähnt, daß ich zusammen mit der Wiedereingliederungsvereinbarung eine Einladung zu einer Maßnahme von meinem Berater bei der Arbeitsagentur erhalten hatte. Diese fand in einer Sprachschule statt und sollte meine Fähigkeit zur Selbstvermarktung optimieren. Da ich in dieser Sache vollkommen ungeübt war, weil ich noch niemals vor der Notwendigkeit gestanden habe, mich vermarkten zu müssen, bestand da sicher ein gewisses Potential. Trotzdem war ich skeptisch. Ich mochte einfach nicht glauben, daß mein größtes Problem meine Unfähigkeit zur Selbstvermarktung war.. Sei's drum! Gemeinsam mit einer Gruppe von Leidensgenossen fand ich mich zum angekündigten Termin in einem trostlosen, halb leerstehenden Bürogebäude in Bahnhofsnähe ein.

Zwei Wochen haben wir jeden Tag von 8:45 bis 15:30 hier miteinander verbracht: Zehn Menschen die dadurch miteinander verbunden waren, eine „Einladung“ der Bundesagentur für Arbeit erhalten zu haben. Eine Einladung, der nicht Folge zu leisten zumindest für einige von uns Schikanen und Sperrzeiten bedeutet hätte.

Denn auch das hatten wir gemeinsam: Keiner von uns ging zu dieser Zeit einer Erwerbstätigkeit nach, alle bezogen Geld vom Staat, alle waren Akademiker.

Da schien es nahezuliegen, daß wir lernen uns selbst zu vermarkten. Aber warum eigentlich? Offensichtlich ging man davon aus, daß Arbeitslosigkeit auf unserem Bildungsniveau weder durch mangelnde Fähigkeiten, noch durch fehlende Motivation erklärt werden kann und in der Tat war der überwiegende Teil der Anwesenden aufgrund von Umstrukturierungen, Strategiewechseln u. ä. arbeitslos. Eine Frau wollte nach dem Ende der Elternzeit wieder arbeiten gehen, ein Mann suchte nach einer selbstgewählten Zäsur die beste Möglichkeit zum Wiedereinstieg.

Die Qualität hatten wir also. Was uns fehlte, war die Fähigkeit, diese einem potentiellen Arbeitgeber zu vermitteln. Das klang so gut, daß man sich gewünscht hätte es wäre wahr. Denn dann hätte der dreifache Familienvater z. B., der auf eine reichhaltige Erfahrung in seinem Beruf zurückblicken konnte, aber dennoch schon fast ein Jahr ohne Stelle war, endlich wieder tätig werden können.

Also lernten wir, wie wir uns präsentieren sollten, um das Interesse eines Arbeitgebers zu wecken. Wir optimierten Anschreiben und Lebensläufe, übten, wie wir uns in Vorträgen von drei Minuten Länge in einem möglichst vorteilhaften Licht erscheinen lassen und diskutierten, mit welchen sprachlichen Formulierungen wir unseren Gesprächspartnern in einem Vorstellungsgespräch die geringstmögliche Angriffsfläche bieten würden. Denn egal was wir sagen könnten, es würde gegen uns verwendet werden. So wurde uns sofort klar: Bei der Rekrutierung von Arbeitskräften feiert der Sozialdarwinismus fröhliche Urstände: Nur die Stärksten überleben, Schwäche wird erbarmungslos bestraft – und wer mit einer Antwort nur einen Moment zögert, hat ohnehin verloren.

Daher: Denke nicht – handle! Lerne leiden, ohne zu klagen! Du bist nichts – der Betrieb ist alles! Makellos in der Erscheinung, unbeugsam im Willen auch das letzte für die Firma zu geben und stets auf der Suche nach einer Möglichkeit noch besser zu werden: Das war das Bild, das wir unserem möglichen zukünftigen Arbeitgeber mit unserem Auftritt vermitteln sollten.

Die meisten von uns hatten damit Probleme. Sie wählten ungeschickte Formulierungen, verhaspelten sich und vergaßen wichtige Fakten. Einigen wenigen jedoch gelang das von Anfang an erstaunlich gut: Sprachlich gewandt ratterten sie ihre Fähigkeiten, Erfahrungen und Erwartungen herunter, ohne daß dem Zuhörer auch nur der Hauch eines Zweifels gestattet wurde, es möchte sich hier die geringste Übertreibung eingeschlichen haben.

Dann beschäftigten wir uns mit den Arbeitszeugnissen. Auch hier zählt nur das Optimum, gibt es nur hohes, höchstes und allerhöchstes Lob und Zufriedenheit. Doch wehe, es fehlt ein Punkt oder es befindet sich ein Fleck auf dem Papier. Dann könnte dieser ein geheimes Zeichen des bisherigen Arbeitgebers an den künftigen sein, daß in Wahrheit die Sache sich ganz anders verhalten habe und der Herr XY tatsächlich ein unglaublich fauler Hund gewesen sei, dessen man sich nur zu gerne entledigt habe. So etwas klingt zwar zunächst lustig, vielleicht auch albern und es trägt gewiß auch Züge geheimdienstlicher Abenteuer in sich. Aber bei Licht betrachtet ist es eher traurig und ein Zeichen dafür, wie problematisch das Verhältnis der Arbeitgeber zu ihren Angestellten sich gestaltet. Wahrscheinlich ist es das Wissen um die Abhängigkeit, in der sich jene befinden (vielleicht aber auch die Einsicht in die eigenen Motive), das den messerscharfen Schluß nahelegt, es sei ihnen alles zuzutrauen.

So oder so, das lernten wir, muß der Bewerber einen Parcours durchlaufen, der an Fallstricken reich ist. Von der schriftlichen Bewerbung über Telefoninterviews und Erst- sowie Zweitgespräche bis zur Gehaltsverhandlung gibt es keinen Moment, in dem der zukünftige Mitarbeiter nicht auf die Probe gestellt und unter Druck gesetzt würde.

Was das für die Kandidaten bedeutet, konnten wir bei den Rollenspielen in unserer Gruppe sehen: Obwohl es hier um nichts ging und der Dozent sich alle Mühe gab, jedem mit Wertschätzung zu begegnen und Unterstützung in jeder Lage anzubieten, waren wir durch die Bank aufgeregt. Gerötete Gesichter, tremolierende Stimmen, nervös zitternde Hände, die aneinander Halt suchen – das Spektrum der Zeichen innerer Erregung war weit. Wer das Glück hatte, all' das erfolgreich kaschieren zu können, hörte immerhin noch das Dröhnen des eigenen Pulses.

Für die Beobachter war dies ebenfalls ein zwiespältiges Vergnügen. Denn es tauchten Fragen auf: War ich ebenso überzeugend? Habe ich nicht auch diese Unsicherheit gezeigt? Konnte ich die Fehler aus der ersten Runde vermeiden? Schlichen sich dafür neue Fehler ein? Und schließlich: Kann ich mit einer ebenso makellosen Biographie aufwarten? Habe ich genügend Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen, um mithalten zu können? Stehe ich nicht ohnehin schlecht da, gegenüber Bewerbern, die nicht arbeitslos sind? – Es ist erstaunlich wie sehr man schrumpft, wenn man sich mit den Augen eines „Personalers“ sieht! – – –

Spätestens am zweiten Tag unserer Maßnahme regte sich Widerwillen gegen das Verfahren als solches in mir. Ich war zuvor noch nie mit dem Arbeits(vermittlungs)markt in Berührung gekommen und nun, da meine Intuitionen, meine vagen Ahnungen und mein Halbwissen zu Gewißheiten wurden, da geronn jenes diffuse Gefühl der Entfremdung, das ich diesem gegenüber hegte, zu der Einsicht, daß ich insgesamt und absolut inkompatibel bin zu dieser Sphäre des Mißtrauens, der Selbsterniedrigung und – der Verlogenheit.

Als ich im Vorfeld der Maßnahme im Gespräch mit Bekannten meinen Unmut über die zwangsweise Verpflichtung durch die Arbeitsagentur geäußert hatte, war mir geraten worden, in ihr eine Chance zur Selbsterkenntnis und zur Reflexion bezüglich meiner Positionierung am Arbeitsmarkt zu sehen. Diesen Rat habe ich beherzigt. Doch ich glaube nicht, daß die Arbeitsagentur über das Ergebnis glücklich ist.




thommma am 14.Mär 19  |  Permalink
Hat es wenigstens was gebracht?
hallo hat es wenigstens was gebracht ?

Muss leider auch bald in so eine Maßnahme, wo ich denke, dass nur der Bildungsträger was davon haben wird.
Schliesslich kassiert dieser tausende von euros
und welche Leute waren da in der Maßnahme ? Waren es Absolventen oder jene, die lange Zeit auch gearbeitet hatten? Und war das ALG 1 oder ALG 2?

und das perfide finde ich ist, dass so getan wird, als gäbe es genug Stellen für alle.

kleindorff am 07.Apr 19  |  Permalink
nicht wirklich...
Hallo,
ich habe schon eine Weile nicht mehr hier reingeschaut, daher die späte Reaktion.
Diese erste Maßnahme war eigentlich ganz ok: Da ich mich vorher noch nie irgendwo bewerben mußte, sondern die Jobs hinterhergetragen bekommen habe, konnte ich mein lückenhaftes Wissen über Bewerbungen aufbessern.
Viel Aufschlußreicher und erschütternder aber war die Erkenntnis, daß da gutqualifizierte, motivierte und z. T. sehr erfahrene Menschen mit überwiegend makellosen Lebensläufen saßen. Ja, da waren auch Absolventen frisch von der Uni, aber auch Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet hatten und zwar quer durch alle Branchen.

Da ich diese Maßnahme gleich beim Erstkontakt mit dem Arbeitsamt verordnet bekommen habe (also ALG 1), war ich auch insgesamt noch recht guter Dinge, daß es irgendwie weitergehen würde.

Dieser Optimismus hat sich im Laufe der nächsten Monate gründlich gelegt. Ich habe dann zwar im Prozeß gegen meinen alten Arbeitgeber einen Vergleich herausschlagen können (weitere zwei Jahre, endgültig befristet), habe mir dann aber mangels weitergehender Perspektive eine Umschulung verschreiben lassen.

Und diese Veranstaltung war ein grausamer Witz: Ein dreiviertel Jahr lang mußte ich acht Stunden am Tag mit Headset vor zwei Monitoren sitzen und einer Riege von Halbgewitzten zuhören. Die Qualifikation, die ich damit erworben habe, ich auch nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt ist. Am Ende hätte ich noch ein Praktikum machen müssen, aber es hat sich kein Betrieb gefunden, der mich umsonst haben wollte. Zum Glück ließ sich über Bekannte etwas drehen, sonst hätte ich diese Maßnahme kaum erfolgreich abschließen können - und hätte vielleicht noch etwas zurückzahlen müssen.

Tja und am Ende, nachdem ich zwei weitere Jahre "endgültig befristet" auf meiner alten Stelle gearbeitet hatte, habe ich nochmal geklagt. Und das hat mir dann eine Festanstellung beschert. Das war aber mehr Glück als Verstand, insofern...

Ich hoffe, bei Ihnen tut sich bald etwas. Es gibt kaum etwas Unerträglicheres als diese Abhängigkeit vom Wohlwollen des Betreuers beim Amt und die Ungewißheit, ob es überhaupt nochmal was wird.

Viel Erfolg!

damals am 07.Apr 19  |  Permalink
Also, ich musste vor langer Zeit (jetzt schon 20 Jahre her) auch in so eine Maßnahme,nach verhauenem Referendariat, die hat mir damals durchaus was gebracht (vielleicht waren auch die Zeiten besser: das ging nur eine Woche und ein Praktikum musste man auch nicht machen): ich hab immerhin gelernt, wie man üblicherweise einen Lebenslauf schreibt (das war vorher für Studentenjobs oder Unibewerbungen ja noch nicht wirklich wichtig gewesen) und auf einen Tipp der Referentin sogar einen kleinen Nebenjob gefunden, der mir in den folgenden, kärglich bezahlten Jobs bei sogenannten "freien Trägern" einen netten Zusatzverdienst bescherte.