Das Leben in der Arbeitslosigkeit
Man sollte meinen, Arbeitslose hätten mehr Zeit als andere Menschen, schon weil sie nicht acht oder mehr Stunden des Tages an einen Arbeitsplatz gebunden sind. Es geht ihnen aber wie den Rentnern: Schon die Verwaltung des Nichtstuns erfordert so viele Gänge zu Ämtern und Behörden, Recherchetätigkeit für das Ausfüllen von Formularen sowie die Durchforstung des Internets auf der Suche nach möglichen Stellenangeboten, daß die Tage arg fragmentiert werden. Außerdem fühlt sich die Umgebung bemüßigt, einem alle nur denkbaren Erledigungen aufzutragen – man hat ja jetzt Zeit.

Aber ich möchte mich nicht beklagen. Am Ende bleiben immer noch etliche Stunden des Nichtstuns – und die sind das eigentliche Problem: Denn jeder, der sich in einer solchen Situation befindet, weiß natürlich, daß die Arbeitslosigkeit kein Dauerzustand sein darf. Sie muß so schnell wie möglich beendet werden, weil der Zeitpunkt, an dem man in die Armut entlassen wird, unbarmherzig näherrückt.

Folglich ist es eben nicht möglich, sich zurückzulehnen und mit Muße all' jenen Dingen nachzugehen, die liegengeblieben sind, solange man noch gearbeitet hat - auch wenn es zuerst den Anschein gehabt haben mag. Das Bewußtsein, seine bürgerliche Existenz nur noch auf Widerruf zu besitzen, treibt zur Aktivität.

Was aber kann man machen, nachdem man sämtliche Jobbörsen abgegrast hat und feststellen mußte, daß es wieder keine einzige Stelle gibt auf die man sich bewerben könnte? Man beginnt, sich Gedanken zu machen. Denn die Zeit läuft. Noch x Monate, bis Hartz IV. Was, wenn es dazu kommt? Muß ich die Wohnung aufgeben? Und weil es keinen Sinn hat, die gleichen websites im Stundenrhythmus zu durchsuchen, weil man die Zeit bis zum Gerichtstermin nicht verkürzen kann, weil man Bewerbungsprozesse nicht beschleunigen kann, sitzt man da – und wartet. Und macht sich weiter Gedanken, wie das Leben aussehen wird, wenn sich nichts ereignet, das zu einer Veränderung der Lage führt.

So kreist das Denken unentwegt, um die ewig gleichen Fragen. Und weil die Zeit, gemessen am Denken, so langsam vergeht und es noch Stunden dauert, bis es wieder Sinn hat, nach neuen Stellenangeboten zu suchen und weil es noch Wochen dauert, bis endlich der Termin beim Arbeitsgericht ist und weil sich das Denken mit jeder Minute, die vergeht, immer mehr auf die existenziellen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit konzentriert, schwindet auch die letzte Möglichkeit, einen Ausweg aus dieser Situation zu finden.

Das bedeutet aber nun gerade nicht, daß man sich irgendwann an diesen Zustand gewöhnt und die Bedrohlichkeit dieser Gedanken nachläßt. Vielmehr hindert einen die Dringlichkeit dieser Fragen daran, überhaupt noch zur Ruhe zu kommen. Wenn es abends dunkel wird und Stille einkehrt, sitzt man mit stierem Blick da und versucht dem Kreislauf der immer gleichen Gedanken zu entkommen. Der Versuch, etwas zu lesen, scheitert an der Unmöglichkeit, sich zu konzentrieren. Fernsehen, der Konsum des größten Stumnpfsinns, den die Menschheit hervorgebracht hat, lenkt immerhin so lange ab, bis einem die Augen zufallen. Doch spätestens wenn man im Bett liegt, ist man wieder hellwach. Erschlagen, aber hellwach, wippt nervös mit dem Fuß und beginnt erneut zu kreisen.

Die einzige erfolgreiche Strategie, ist die Sedierung mittels Alkohol. Sie läßt das Denken innehalten und ermöglicht einige Stunden Schlaf am Stück. Fordern und fördern. – Es ist der reine Hohn! Letztlich geht es darum, die Ohnmacht des Einzelnen so spürbar zu machen, daß er jeden Widerstand aufgibt und sich willig zur Erledigung jener Aufgaben beordern läßt, die am Arschende der Gesellschaft anfallen, damit die happy few von der Wirklichkeit nicht zu sehr belästigt werden.