Dienstag, 4. August 2015
Der Gütetermin
Das Wort „Gütetermin“ ist irreführend, denn es ist nichts bei diesem Verfahren zu bemerken, was man im alltäglichen Sprachgebrauch mit dem Begriff „Güte“ in Verbindung bringen würde. – Das liegt wahrscheinlich daran, daß das formale Gerüst, dem die Handelnden sich zu fügen haben, der Güte keinen Raum läßt zu obwalten.

Bemerkenswert an diesem Termin war vor allem, daß mein Prozeßgegner, das Land, hier erstmals ein Gesicht bekam. Es war ein erschütternder Anblick: Die freudlosen Jahre in der Amtsstube hatten sich derart in die Physiognomie dieser Person eingegraben, daß es mir bitter aufstieß.

Viel unheimlicher war aber, daß dieser Mensch, entgegen dem ersten Anschein, eben kein kalter Technokrat war. Die Paragraphen, Verordnungen, Erlasse und Handreichungen, mit denen er tagtäglich arbeiten mußte, hatten offensichtlich sein Denken derart okkupiert, daß er die Sache persönlich nahm. Voller Unmut, geradezu angeekelt, nahm er zu meiner Sache Stellung. Es schien ihm unverständlich, warum ich glaubte, einen Anspruch auf eine dauerhafte Beschäftigung erworben zu haben: Jeder der vierundzwanzig Verträge, die ich unterschrieben hatte, besagte doch ganz eindeutig das Gegenteil.

Der Richter erkannte schnell, daß hier nichts zu holen war und setzte einen Termin für die Verhandlung an.



J'accuse (Teil 2)
Je näher der Gütetermin rückte, desto unsicherer wurde ich, ob es sinnvoll sein könnte, dort ohne juristischen Beistand zu erscheinen – auch wenn dies prinzipiell möglich war. Daher suchte ich zwei Wochen vor dem Termin einen Arbeitsrechtler auf, der mir im Bekanntenkreis empfohlen worden war.

Der Mann war eine gute Wahl: Kompetent, gutgelaunt und nie um einen respektlosen Witz verlegen – wir hatten von Anfang an eine gute Basis, auf der wir zusammenarbeiten konnten. Aber wollte ich das überhaupt? Wollte ich nicht eigentlich nur diesen Gütetermin abwarten und dann erst weitersehen? Zumal da ja immer noch das Problem mit der Finanzierung des Prozesses bestand: Keine Versicherung, zuviel Geld, um Prozeßkostenhilfe zu erhalten, aber wahrscheinlich zu wenig, um die Sache zu überstehen, ohne hinterher mittellos zu sein.

Andererseits schien der Weg, den ich nun zu gehen hatte geradezu zwingend vorgezeichnet, wenn ich seinen Ausführungen folgte. Womit ich nicht unterstellen möchte, daß er mich zu etwas überredete. Es war vielmehr so, daß die innere Logik in der Abfolge der verschiedenen Schritte so zwingend erschien, daß die Option, die Klage auf der Grundlage dessen, was beim Gütetermin herauskommen würde, zurückzuziehen, nicht sinnvoll war.

Ich ließ mich also darauf ein. Nachdem ich ihm einen groben Überblick über die Situation gegeben habe, ergänzte er die Klageschrift noch um einige Punkte, dann vertagten wir uns bis zum Termin.