Das Für und Wider
Nach dem Gütetermin war ich so schlau wie vorher. Das, was ich an Erkenntnis erwartet hatte, daß nämlich der Richter eine Einschätzung bezüglich der Erfolgsaussichten meiner Klage abgeben würde, hatte ich nicht erhalten. Immerhin hatte er das Land beauftragt, zu meinen Vorwürfen Stellung zu nehmen und nicht mich, diese zu belegen. Das war wohl ein Indiz. Aber war das ausreichend, das Risiko eines Prozesses zu schultern?

Ich schlief jetzt schlechter. Oft war ich schon in den frühen Morgenstunden wach und fühlte mich dann den ganzen Tag über wie gerädert. Die Stellungnahme des Landes, die ich nach gut vier Wochen erhielt, war auch nicht geeignet, das zu ändern. Zwar wußte ich, daß Klappern zum Handwerk gehört und es in juristischen Auseinandersetzungen eben nicht darum geht, einen Konflikt konsensuell zu lösen. Trotzdem empörte mich die schroffe bis ignorante Ablehnung meiner Geltungsansprüche. – Ich empfand wohl ähnlich, wie z. B. religiöse Menschen beim Anblick vermeintlich blasphemischer Karikaturen. Nur daß bei mir keine Glaubenssätze verletzt worden waren, sondern die Prinzipien kommunikativer Rationalität.

Immerhin: Die Auseinandersetzung mit den Argumenten des Landes gab mir so etwas wie eine Aufgabe. Ich hatte mich nach den ersten Gesprächen mit meinem Anwalt schon mit den höchstrichterlichen Entscheidungen zum Teilzeitbefristungsgesetz auseinandergesetzt. Und auch wenn ich die Sprache, in der die Urteilsbegründungen abgefaßt waren, zunächst als sehr anstrengend empfunden habe, konnte ich doch nach kurzer Zeit, dem Scharfsinn, mit dem hier Sachverhalte in Beziehung zu Rechtsnormen und -gütern gesetzt wurden, etwas abgewinnen. Der Positivismus, der in jeder sprachlichen Wendung sichtbar wurde, war faszinierend. Hier wurde auf höchstem Niveau argumentiert, ohne daß je etwas in Frage gestellt wurde. Prinzipiell war alles klar und einfach. Es kam nur darauf an, die richtige Zuordnung herzustellen.

Das mußte ich nun auch lernen. Wenn meine Sache Erfolg haben sollte, mußte es mir gelingen, ausgewählte Sachverhalte meiner Tätigkeit so darzustellen, daß deren Widerspruch zum gesetzlich Zulässigen offensichtlich wurde. Natürlich wurde diese Arbeit im Kern von meinem Anwalt geleistet. Da er aber unmöglich die Details meiner Tätigkeit aus den Arbeitsverträgen erschließen konnte und ihm die schulinternen Prozesse naturgemäß unbekannt waren, mußte ich ihm die Fakten so aufbereiten, daß er damit arbeiten konnte. Also habe ich seine Entwürfe dahingehend überprüft, ob sie möglicherweise mit Dingen, die bisher nicht zur Sprache gekommen waren, in Widerspruch standen. Auch habe ich Vorschläge für weitere Argumente gemacht, wenn ich den Eindruck hatte, aufgrund meiner genaueren Kenntnis der Tatsachen etwas zu sehen, das ihm verborgen geblieben war. Dabei handelte es sich zumeist um Aspekte, die auch mir bisher nicht aufgefallen war, weil ich die Dinge mental nach ihrer inneren Widersprüchlichkeit und ihrem moralischen Empörungspotential stratifiziert hatte, nicht nach ihrer juristischen Relevanz.