Und plötzlich hast Du frei (Teil 1)
Daß das Ende kommen würde, war mir von Anfang an klar gewesen: Ich war Wissenschaftler, nicht Pädagoge, hatte also die falsche Ausbildung und somit eher ein Notbehelf. Und daß mein Arbeitgeber – das Land Hessen, in dessen Auftrag ich an einem Gymnasium unterrichtete – alles tun würde, um mich nicht dauerhaft beschäftigen zu müssen, war für mich nachvollziehbar: Wer bindet sich schon einen Angestellten dauerhaft ans Bein, den er unter normalen Voraussetzungen nicht eingestellt hätte.
Außerdem es ging ja auch so. Wann immer Bedarf bestand, wurde ein neuer Arbeitsvertrag abgeschlossen oder der alte abgeändert oder verlängert. Vierundzwanzigmal insgesamt.
Das lief im Detail natürlich nicht immer so reibungslos ab, wie es sich hier liest. Es kam durchaus vor, daß ich schon wochenlang arbeitete, ehe endlich der Vertrag vorlag. Oder es kam zwar pünktlich ein Vertrag, deckte aber nicht die erforderliche Stundenzahl ab. In diesen Fällen habe ich, weil ich ja angestellt worden war, um Unterrichtsausfall zu verhindern, trotzdem die erforderliche Stundenzahl unterrichtet und auf Nachbesserung gewartet.
In einem dieser Fälle erfuhr ich - nachdem ich schon über mehrere Wochen hinweg deutlich mehr gearbeitet hatte als mein Vertrag hergab - auf Nachfrage, daß die in Aussicht gestellte Korrektur nicht mehr zur Debatte stand: Mein Arbeitgeber ging mittlerweile stillschweigend davon aus, ich würde die geleistete Mehrarbeit als Überstunden abrechnen! – Und während meines Urlaubes und im Krankheitsfall auf entsprechende Zahlungen verzichten. Von überflüssigem Luxus wie Krankenversicherung und Altersvorsorge einmal ganz zu schweigen. Damit war für mich die Grenze des Tolerierbaren überschritten. Aber erst als ich ankündigte die Arbeit mitten im Halbjahr einzustellen, da ich das vertraglich fixierte Gesamtvolumen für das Halbjahr schon annähernd geleistet hatte, lenkte mein Arbeitgeber ein.
Diese Ärgernisse sowie die ständige Unsicherheit, das Leben von Halbjahr zu Halbjahr, haben mir immer stärker aufs Gemüt geschlagen. Immer öfter war ich kurz davor, den Kram hinzuwerfen. Aber dann hat es doch wieder Spaß gemacht und letztlich war auch nichts besseres in Sicht.
Die klassischen Betätigungsfelder für Geisteswissenschaftler, die es nicht an eine Universität geschafft haben, liegen in jenen Branchen, die durch die digitale Revolution und die Finanzkrise mit am stärksten in Mitleidenschaft gezogen wurden. Also muß man froh sein, überhaupt etwas tun zu dürfen. Denn unsere Lage ist fatal: Nominell sind wir hochqualifiziert. Als promovierte Wissenschaftler haben wir den zweithöchsten Abschluß erworben, den unser Bildungssystem zu vergeben hat, sind der Papierform nach aber für nichts in der wirklichen Welt zu gebrauchen.
Und allem Gerede über Flexibilität, gebrochene Biographien und lebenslanges Lernen zum Trotz suchen die Unternehmen eben nicht nach Menschen, die sich unter dem Druck der Verhältnisse alle paar Jahre neu erfinden, sondern solche, denen noch vor Abschluß der Pubertät klar war, von welcher Position aus sie einmal in Rente gehen würden.
Hier liegt ein klares Marktversagen vor: Menschen, die umfassend gebildet sind und vielfältige Interessen verfolgen, die über Lebenserfahrung und eine entsprechende Urteilskraft verfügen, werden nicht einmal mit nachrangigen Aufgaben betraut.
Dabei ist der Dünkel des Geisteswissenschaftlers nicht so groß, wie diese Äußerung vermuten lassen könnte: Ich habe mein Studium mit unqualifizierten Tätigkeiten finanziert und auch danach habe ich praktisch jede Arbeit angenommen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Aber auch das hat am Ende nicht gereicht: So groß mein Engagement auch war, es ist es mir gelungen, irgendwo mehr als ein paar Stunden herauszuholen. Am liebsten wollte mich jeder auf Honorarbasis beschäftigen, um Abgaben zu sparen und nur ja keinen Ansatzpunkt für die Forderung nach einer Festanstellung zu bieten.
Am schlimmsten hat es meine alma mater getrieben: Da es für einen frisch promovierten Wissenschaftler Ehre und Bedürfnis ist, lehren zu dürfen, verbietet es sich von selbst, diesem für einen Lehrauftrag ein Honorar zu zahlen.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen hatte ich immer schon damit gerechnet, daß mein Vertrag mit der Schule einmal nicht weiter verlängert werden würde. Doch dann reihte sich ein Anschluß an den nächsten, bis ich schließlich fast sechs Jahre unterrichtet hatte.
Und weil es letztlich eine ziemlich respektable Zeit gewesen ist, die ich mit Kollegen und einer ganzen Schülergeneration verbracht habe, war es schmerzhaft, mitgeteilt zu bekommen, daß es keine weitere Verlängerung mehr geben würde.
kleindorff am 23. Juli 15
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