Mittwoch, 29. Juli 2015
Und plötzlich hast Du frei (Teil 2)
Es war ein Abschied auf Raten gewesen. Nachdem ich im Oktober noch eine Aufstockung meines Lehrdeputates erhalten hatte, wurde mein Vertrag Ende Januar nur noch um drei Monate verlängert. Zunächst war ich der Annahme, es solle damit nur der Tatsache Rechnung getragen werden, daß durch die Rückkehr einer Kollegin, die ich vertreten hatte, eine erneute Anpassung der Stundenzahl notwendig werden würde. Aber dann bekam ich auf Umwegen Wind davon, daß in Schulleitungskreisen von einer Verlängerung mit reduzierter Stundenzahl nicht mehr die Rede war. Ich sollte also das schriftliche Abitur noch abnehmen, dann aber mit dem Ende der Osterferien ausscheiden. Da es aber noch kein offizielles statement dazu gab, hielt ich es für besser, mit den Schülern noch nicht darüber zu reden. Ich war der Auffassung, daß es Sache der Schulleitung war, solche Dinge zu kommunizieren, vor allem, wenn dadurch die mündlichen Abschlußprüfungen betroffen waren. Außerdem hoffte ich immer noch, es könnte doch noch irgendwie weitergehen.

Als dann aber vor den Osterferien immer wieder Schüler nachfragten, was wir nach den Ferien durchnehmen würden, wurde offensichtlich, daß die Schulleitung nichts über mein Ausscheiden mitgeteilt hatte. Daher hielt ich es für richtig, nun meinerseits darauf hinzuweisen, daß ich für die Zeit nach den Osterferien nicht mehr zuständig sein würde.

Die Kandidaten für das mündliche Abitur waren verständlicherweise empört. Knapp vier Wochen vor ihren Prüfungen wurden sie mit der Aussicht konfrontiert, von einer Lehrerin examiniert zu werden, bei der sie über ein Jahr keinen Unterricht mehr gehabt hatten. Einige monierten, daß sie wahrscheinlich ein anderes Prüfungsfach gewählt hätten, wenn ihnen diese Prüferin in Aussicht gestanden hätte, als sie sich entscheiden mußten. Und tatsächlich wäre es nur schwer mit den einschlägigen Erlassen zu vereinbaren gewesen, die Prüfung von einer Lehrkraft abnehmen zu lassen, die die Schüler kein ganzes Halbjahr in der Q-Phase unterrichtet hatte.

Die Schüler protestierten – mit Erfolg! Noch vor Ferienbeginn lag ein Vertrag vor, der meinen Verbleib an der Schule für weitere zwei Monate sicherte. Also verabschiedete ich mich nur von einem Teil meiner Schüler, die Abiturienten blieben mir noch bis Ende Juni erhalten.

Im Juni bat mich mein Schulleiter zu einem Gespräch und teilte mir mit, es werde endgültig keine weitere Verlängerung für mich geben. Daß mich das überraschte zeigt nur, wie sehr der Mensch die Plausibilität von Ereignissen gemäß seinen Wünschen und Vorstellungen einzuschätzen geneigt ist: Obwohl ich wußte, daß durch den Wechsel vieler Gymnasien zu G9 ein Überfluß an Lehrern herrschte und das Land daher bemüht sein mußte, sich von so vielen Kräften wie möglich zu trennen, hatte ich immer noch damit gerechnet, mir würde das erspart bleiben.

Auch wenn das, was mir mein Schulleiter da verkündete hatte, nur zur Gewißheit machte, was ich schon lange erwartet hatte, war ich dennoch wie vor den Kopf gestoßen. Die Farben meiner Umgebung schienen zu verblassen, Stimmen drangen nur noch gedämpft zu mir hindurch. Glücklicherweise mußte ich an diesem Tag nicht mehr unterrichten. So konnte ich einen dezenten Rückzug antreten und das Gehörte erst einmal sinken lassen.