Und plötzlich hast Du frei (Teil 2)
Es war ein Abschied auf Raten gewesen. Nachdem ich im Oktober noch eine Aufstockung meines Lehrdeputates erhalten hatte, wurde mein Vertrag Ende Januar nur noch um drei Monate verlängert. Zunächst war ich der Annahme, es solle damit nur der Tatsache Rechnung getragen werden, daß durch die Rückkehr einer Kollegin, die ich vertreten hatte, eine erneute Anpassung der Stundenzahl notwendig werden würde. Aber dann bekam ich auf Umwegen Wind davon, daß in Schulleitungskreisen von einer Verlängerung mit reduzierter Stundenzahl nicht mehr die Rede war. Ich sollte also das schriftliche Abitur noch abnehmen, dann aber mit dem Ende der Osterferien ausscheiden. Da es aber noch kein offizielles statement dazu gab, hielt ich es für besser, mit den Schülern noch nicht darüber zu reden. Ich war der Auffassung, daß es Sache der Schulleitung war, solche Dinge zu kommunizieren, vor allem, wenn dadurch die mündlichen Abschlußprüfungen betroffen waren. Außerdem hoffte ich immer noch, es könnte doch noch irgendwie weitergehen.

Als dann aber vor den Osterferien immer wieder Schüler nachfragten, was wir nach den Ferien durchnehmen würden, wurde offensichtlich, daß die Schulleitung nichts über mein Ausscheiden mitgeteilt hatte. Daher hielt ich es für richtig, nun meinerseits darauf hinzuweisen, daß ich für die Zeit nach den Osterferien nicht mehr zuständig sein würde.

Die Kandidaten für das mündliche Abitur waren verständlicherweise empört. Knapp vier Wochen vor ihren Prüfungen wurden sie mit der Aussicht konfrontiert, von einer Lehrerin examiniert zu werden, bei der sie über ein Jahr keinen Unterricht mehr gehabt hatten. Einige monierten, daß sie wahrscheinlich ein anderes Prüfungsfach gewählt hätten, wenn ihnen diese Prüferin in Aussicht gestanden hätte, als sie sich entscheiden mußten. Und tatsächlich wäre es nur schwer mit den einschlägigen Erlassen zu vereinbaren gewesen, die Prüfung von einer Lehrkraft abnehmen zu lassen, die die Schüler kein ganzes Halbjahr in der Q-Phase unterrichtet hatte.

Die Schüler protestierten – mit Erfolg! Noch vor Ferienbeginn lag ein Vertrag vor, der meinen Verbleib an der Schule für weitere zwei Monate sicherte. Also verabschiedete ich mich nur von einem Teil meiner Schüler, die Abiturienten blieben mir noch bis Ende Juni erhalten.

Im Juni bat mich mein Schulleiter zu einem Gespräch und teilte mir mit, es werde endgültig keine weitere Verlängerung für mich geben. Daß mich das überraschte zeigt nur, wie sehr der Mensch die Plausibilität von Ereignissen gemäß seinen Wünschen und Vorstellungen einzuschätzen geneigt ist: Obwohl ich wußte, daß durch den Wechsel vieler Gymnasien zu G9 ein Überfluß an Lehrern herrschte und das Land daher bemüht sein mußte, sich von so vielen Kräften wie möglich zu trennen, hatte ich immer noch damit gerechnet, mir würde das erspart bleiben.

Auch wenn das, was mir mein Schulleiter da verkündete hatte, nur zur Gewißheit machte, was ich schon lange erwartet hatte, war ich dennoch wie vor den Kopf gestoßen. Die Farben meiner Umgebung schienen zu verblassen, Stimmen drangen nur noch gedämpft zu mir hindurch. Glücklicherweise mußte ich an diesem Tag nicht mehr unterrichten. So konnte ich einen dezenten Rückzug antreten und das Gehörte erst einmal sinken lassen.




arboretum am 29.Jul 15  |  Permalink
Wollen Sie gern weiter unterrichten?

kleindorff am 29.Jul 15  |  Permalink
Keine Frage! Aber da ich nur für ein Fach (Ethik) über eine reguläre Lehrerlaubnis verfüge und keine pädagogische, sondern eine wissenschaftliche Ausbildung habe (also keine Staatsexamina), sieht es mit dem Schuldienst ziemlich schlecht aus...

arboretum am 29.Jul 15  |  Permalink
Verstehe ich Sie richtig, dass es in Hessen damals für Sie keine Möglichkeit zum Quereinstieg in ein Referendariat gab. Gäbe es für Sie diese Möglichkeit denn jetzt noch in einem anderen Bundesland? Dass Sie unterrichten können, haben Sie ja nun schon ausreichend bewiesen.

Eine meiner Cousinen stieg vor ein paar Jahren in Bayern in den Schuldienst ein, sie besaß ein Diplom und Berufserfahrung als Musiklehrerin, musste aber noch Prüfungen für ein zweites Fach (Religion) ablegen. Und ich kannte mal jemanden, der vor zwölf Jahren als Quereinsteiger nach Niedersachsen in den Schuldienst ging, der sollte dafür dann dort auch noch irgendwelche Pädagogik-Prüfungen in einer bestimmten Zeit nachholen. Er hatte nach seinem Magister in Germanistik und Romanistik noch Jourmalistik studiert und darin auch promoviert (deshalb sollte er an der Schule auch gleich noch die Medienpädagogik übernehmen).

kleindorff am 30.Jul 15  |  Permalink
Ich habe schon zu Beginn meiner Tätigkeit an der Schule die Möglichkeit eines Quereinstiegs ausgelotet. Ergebnis: Ich hätte quasi ein erneutes Studium beginnen müssen. Man hätte mir nur das Fachliche aus der Philosophie anerkannt. Das konnte ich mir damals weder leisten, noch hätte ich die Energie gehabt, neben der Arbeit ein zweites Studium zu absolvieren.

Anders sieht es aus, wenn man ein Mangelfach unterrichten kann. Da geht fast alles.

arboretum am 30.Jul 15  |  Permalink
Nebenher nochmals ein komplettes Studium zu absolvieren ist anstrengend - und wie hätte das auch zeitlich hinhauen sollen, wenn Sie ohnehin mehr Stunden unterrichten mussten, als im Vertrag standen. Die Zeiten, als Ethik in Berlin und Bayern ein Mangelfach war, sind inzwischen wohl leider auch vorbei.

Was waren denn damals Ihre Nebenfächer im Studium?

kleindorff am 30.Jul 15  |  Permalink
Ich habe meinen Magister in Philosophie und Kunstgeschichte (zwei Hauptfächer) gemacht und wurde anschließend in Philosophie promoviert. - Man könnte sagen, daß ich mich konsequent am Arbeitsmarkt vorbeiqualifiziert habe...

arboretum am 30.Jul 15  |  Permalink
Das würde ich so pauschal nicht sagen. Wie bei vielen anderen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern kommt es halt darauf an, was man neben dem Studium noch so macht (Jobs, außeruniversitäre Weiterbildung), um hinterher auf dem Arbeitsmarkt einen Platz für sich zu finden. Viele merken das erst, wenn sie den Abschluss haben und sich bewerben.

Wo möchten Sie denn nun beruflich am liebsten hin? Vielleicht hilft es, vom Ende her zu denken und dann Schritt für Schritt rückwärts zu planen (inklusive möglicher Hindernisse und Wege darum herum bzw. allen dann notwendigen Zwischenschritten), bis Sie vom Ziel an Ihrem jetzigen Startpunkt angelangt sind. Noch bekommen Sie ja Arbeitslosengeld I - von dem ich hoffe, dass es ausreicht, um Ihre Lebenshaltungskosten zu decken.

kleindorff am 31.Jul 15  |  Permalink
Sie haben natürlich Recht: Prinzipiell kann man mit einem geisteswissenschaftlichen Studium auf vielen Feldern tätig werden. Bisher war es ja auch immer so gewesen, daß ich in Jobs tätig war (z. T. bis zu vier nebeneinander her), die mit meiner Ausbildung rein garnichts zu tun hatten bzw. die ich mit irgendeiner albernen Zusatzqualifikation ausüben konnte: An die Schule kam ich z. B. ohne jegliche fachspezifische Ausbildung und habe erst im Nachgang mit einem Übungsleiterschein die Grundlage für diese Tätigkeit gelegt.

Es fällt mir schwer, zu sagen, wohin ich am liebsten möchte - für die Dinge, die mir Spaß machen würden, bräuchte ich Berufserfahrungen, die ich nicht habe. Wichtiger als der Inhalt meiner Arbeit ist mir mittlerweile ein gesichertes Auskommen. Ich habe es einfach satt, mir jedes halbe Jahr Sorgen machen zu müssen, ob und wie es weitergeht.

Da ich außer der Tätigkeit an der Schule keine relevanten Erfahrungen vorweisen kann, bin ich quasi auf jedem Feld Anfänger und konkurriere mit Menschen, die deutlich jünger sind und genau die richtige Ausbildung haben.

arboretum am 31.Jul 15  |  Permalink
Was würde Ihnen den beruflich Freude machen?

kleindorff am 04.Aug 15  |  Permalink
Prinzipiell ist das leicht zu beantworten: Über die langen Jahre meines Studiums hinweg sind mir das Suchen nach neuen Einsichten und deren Konzeptualisierung zur zweiten, wenn nicht gar ersten Natur geworden. Mir macht alles Spaß, was mich intellektuell herausfordert, aber ich muß auch den Sinn dahinter anerkennen können.

So gesehen wäre der beste Platz für mich an einer Universität gewesen, zumal ich das, was ich mir erarbeite auch gerne weitergebe und gegen kritische Einreden verteidige. Da diese Option schon vor etlichen Jahre obsolet geworden ist, würden entsprechende Tätigkeiten in den Analyse- und Wissensabteilungen von Wirtschaftsunternehmen oder öffentlichen Institutionen in Frage kommen.

Hier konkurriere ich freilich mit jüngeren und zugleich erfahreneren Bewerbern, die darüberhinaus i. d. R. auch fachlich ein besseres Passungsverhältnis aufweisen.

Wie gesagt: Mit der Tätigkeit in der Schule habe ich mich in eine unglückliche Ecke manövriert.

Bleibt eigentlich nur die Erwachsenenbildung, die aber oft auch einen energischen Willen zur Selbstausbeutung voraussetzt.

abenteuer familie am 29.Jul 15  |  Permalink
Diese unglaubliche Wertschätzung, die einem mit so einem Verhalten immer wieder zuteil wird.
Unglaublich!
Aber wie reagiert die Agentur für Arbeit, die müssten doch jetzt zumindest Umschulungsmaßnahmen anbieten???
Wenn sie schon nichts passendes für sich finden...

kleindorff am 29.Jul 15  |  Permalink
Ja, man fühlt sich richtig gut! Am Ende zählen weder Engagement noch Leistung, sondern wirtschaftliche Faktoren.

Über die Arbeitsagentur werde ich als nächstes berichten. Nur soviel vorab: Ich hatte Glück mit meinem Betreuer. Er hat nichts Unbilliges verlangt und sich sehr bemüht, mir Möglichkeiten zu eröffnen.

arboretum am 29.Jul 15  |  Permalink
Die Akademiker landen meines Wissens beim Hochschulteam der Arbeitsagentur, die Vermittler dort sind in der Regel ganz nett und das Seminarangebot ist auch etwas besser.