Das schwarze Loch
Es war ein merkwürdiges Gefühl: Einerseits bedrückte mich die Aussicht, nicht mehr in der Schule tätig zu sein. Andererseits aber verspürte ich eine gewisse Erleichterung, die wohl daher rührte, daß die Zeit der Unsicherheit endlich vorbei war.

Die zwei oder drei Wochen, die mir nun bis zu meinem endgültigen Ausscheiden blieben, hatten den eigentümlichen Charakter eines Nachlebens. Einem Untoten gleich wandelte ich durch das Gewimmel von Lehrern und Schülern, die vor Notenkonferenzen und Zeugnissen noch einmal zu letzten Höchstleistungen aufliefen, um sich dann umso verdienter in die Sommerferien verabschieden zu können. Ich war von diesem Betrieb bereits abgekoppelt. Da ich schon einem Monat vor dem Ende des Schuljahres ausschied, mußte ich sehen, daß ich entsprechend früher mit allem durch war.

Und weil sich die Nachricht von meinem Ausscheiden nur langsam herumsprach, wurde ich jeden Tag mehrfach von Schülern und Lehrern auf das Warum und Wieso angesprochen und auf meine Pläne. Und ebenso oft antwortete ich mit gleichen ausweichenden Floskeln. Ich bemühte mich, das Ende meiner Tätigkeit als alltägliches Ereignis darzustellen. Nur hin und wieder ließ ich mich dazu hinreißen, meiner Verärgerung über die schäbige Behandlung durch meinen Arbeitgeber freien Lauf zu lassen.

Zwar reagierten die Mehrheit meiner Gesprächspartner mit Bedauern auf die Tatsache, daß ich nicht mehr Teil des Kollegiums sein würde, aber nur ein einziger meiner verbeamteten Kollegen war in der Lage, seine persönliche Betroffenheit überzeugend zu artikulieren. Bei allen anderen war die zur Schau getragene Empörung analog zur Geschwindigkeit, mit der sie wieder zur Tagesordnung übergingen. Eines war gewiß: Es würde nach kurzer Zeit so sein, als wäre ich niemals dort gewesen.

Ob mich der Groll oder vielleicht auch die Trauer über diese Einsicht dazu bewegt haben, einem förmlichen Abschied aus dem Weg zu gehen, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. So oder so hatte ich keine Lust, mich der zwiespältigen Erfahrung zu stellen, mir von Repräsentanten ein und derselben Institution danken und in den Hintern treten zu lassen. Das war zwar den Kollegen gegenüber gewiß kein freundlicher Akt, aber ein harmonisches Ende hätte einfach anders ausgesehen.

So ging ich Anfang Juli zu einer Zeit, in der ich erwarten konnte, nur wenige Kollegen auf den Gängen und im Lehrerzimmer anzutreffen, ein letztes Mal in die Schule, lehrte mein Fach und übergab dem Hausmeister meine Schlüssel.




der imperialist am 29.Jul 15  |  Permalink
Hatten sie sozusagen die Funktion eines Eindringlings, eines Geduldeten. Ich wehre mich schon seit Ewigkeiten gegen das eigene Verschwinden, während sich die Welt einfach zum nächsten Tagespunkt weiterdreht. Gegen diese Ungeheuerlichkeit muss man aus allen Rohren feuern. Lassen sie sich von den Verhältnissen nur nicht verunstalten.

kleindorff am 30.Jul 15  |  Permalink
Sie bringen es auf den Punkt. Das Widerwärtige an der Situation ist, daß man es sich gefallen läßt (und gefallen lassen muß) mit der Geringschätzung der eigenen Person durch die zu leben, denen man gerade einen wertvollen Dienst erweist. - So gesehen habe ich mich in den letzten Jahren viel zu oft verbogen, weil ich irgendwie weitermachen mußte. Es wäre richtiger gewesen, den Bettel einfach hinzuwerfen, wenn z. B. das Schulamt wieder einmal schlampig gearbeitet hatte, anstatt deren Fehler noch auszubügeln.

otherguy am 30.Jul 15  |  Permalink
Als befreit, nicht gefeuert muss man das betrachten.
Frei statt arbeitslos. Das Universum klärt das schon, wenn es was zu klären gibt.
Den Kopf nicht hängen lassen & die Augen offen halten, dann finden Sie den Weg zum Glück 👍